Das Paradoxon des Lernens
Die musikalische Identität allein über die Nennung von Lehrern zu definieren, empfinde ich als lächerlich. Es ist eine weit verbreitete Praxis, dass in Programmen und Biografien oft zuerst der Name eines berühmten Lehrers genannt wird – eine Identifikation, die bei Musikern, die mehr über die Suche nach Legitimation, als über die tatsächliche musikalische Entwicklung aussagt. Einzig bei einem jungen Musiker mag dies in der Orientierungsphase noch etwas Sinn ergeben.
Doch die zentrale Wahrheit im musikalischen Lernen ist:
Mein wichtigster Lehrer bin ich selbst.
Der wahre Weg zu Selbständigkeit
Lernen ist ein aktiver Prozess, der folgende Elemente unerlässlich macht:
Hinterfragen: Die ständige kritische Auseinandersetzung mit dem Gelernten.
Neugierig sein: Der Motor, um über den Tellerrand des eigenen Fachgebiets hinauszublicken.
Von anderen lernen: Die Fähigkeit, Inspiration ohne Imitation aufzunehmen.
Offen sein: Die Bereitschaft, eigene Positionen zu revidieren und Neues zuzulassen.
DAS ist das Wichtigste.
Reale Lehrer sind zweifellos von Bedeutung, aber nur dann, wenn sie zu Selbständigkeit erziehen und den Schüler nicht abhängig von sich selbst machen. Ein wirklich guter Lehrer zeichnet sich dadurch aus, dass er nach einer gewissen Zeit den Schüler loslassen kann und ihn aktiv ermutigt, etwas anderes zu probieren. Das habe ich auch bei meinen Lehrtätigkeiten immer vor Augen gehabt !
Die universelle Schule der Musik
Meine eigentlichen Lehrer waren und sind immer die, die ich gerade gehört oder gespielt habe. Es gehört unerlässlich dazu, sich intensiv mit den Komponisten und Musikern zu beschäftigen – sie sind die stillen Mentoren.
Ich habe immer nach neuer Musik – nach neuen Lehrern Ausschau gehalten. Dies geschieht durch tiefes Hören und Experimentieren. Wenn ich zum Beispiel Musik (Improvisationen) von Keith Jarrett oder Claude Debussy gehört habe, spielte ich diese nach, nach-improvisierte sie, um die musikalische Sprache zu verstehen. Der entscheidende Schritt ist jedoch, dann nicht zu imitieren, sondern eigene Elemente zu erschaffen.
Das ist Lernen und Lehren zugleich! Sich selbst lehren – das ist der Kern der musikalischen Entwicklung.
Meine Lehrer - Dankbarkeit und kritische Distanz
Rückschauend hatte ich das Glück, zur richtigen Zeit auch die richtigen realen Lehrer zu haben. Davon hatte ich einige. Dennoch sehe ich einige diese Lehrer heute teilweise sehr kritisch – eine gesunde, professionelle Distanz ist Teil des eigenen Wachstums. Ich möchte aber zwei positve Beispiele nennen !
Zwei exemplarische Beispiele verdeutlichen die Qualität guter Mentorschaft:
Herr Friedhelm Floer (1942 - 2025), mein erster Lehrer: Er vermittelte mir nicht nur grundlegende Dinge, sondern bewahrte mich auch vor Dummheiten. In der Jugend wollte ich die Schule schmeißen, um in einer Band zu spielen. Er hat mich nicht überredet, sondern überzeugt, einen anderen Weg einzuschlagen, indem er mir die langfristigen Perspektiven aufzeigte. Er brachte mich auch von Anfang an mit Improvisation in Berührung.
Prof. Herbert Tachezi (1930 - 2016), mein Lehrer in Wien: Er hat mich nicht nur angeleitet, motiviert um das Beste aus mir herauszuholen, sondern vor allem ermutigt und geführt, immer EIGENES, Individuelles zu machen. Sein Motto „Spiele nie ein Stück zweimal auf die gleiche Art und Weise“ ist zum Leitstern meiner Improvisation geworden. Ich erinnere mich gerne, wie wir an Orgel und Klavier jazzig oder zeitgenössisch improvisiert haben – eine Begegnung, für die ich zutiefst dankbar bin.
Beide Lehrer waren, wie sollte es auch anders sein, wundervolle Menschen. Ich denke oft an diese prägenden Zeiten zurück !
FAZIT
Lehrer, die zur Unabhängigkeit führen, sind die wahren Wegbereiter. Die wahre Identifikation eines Musikers kommt nicht aus dem Namen eines berühmten Lehrers, sondern aus der selbst erschaffenen musikalischen Sprache.